Geh doch zu Momo ... Teil 3
Oder: Was hat Momo mit Mediation zu tun? Über die erstaunlichen Möglichkeiten, Konflikte im Miteinander zu lösen, wenn denen, die in sie verstrickt sind, respektvoll begegnet wird – und nicht selten mit Hilfe von Umdeutung.
Das Märchen Momo hält etliche interessante Episoden bereit, die bei genauerer Betrachtung einiges mehr in sich haben, als nur eine spannende und fantasievolle Geschichte – davon war schon in den letzten beiden Ausgaben die Rede. Wenn Konflikte verkrusten und für die Beteiligten unkontrollierbar werden, ist Momo da, um allen aktiv zuzuhören, um Perspektivwechsel zu ermöglichen, so dass Streitparteien ihren Konflikt beilegen können. Zusammenhänge zu den Grundideen von Mediation zu erkennen bietet sich an. Konflikte, insbesondere festgefahrene Konflikte, die es erschweren, oftmals unmöglich erscheinen lassen, die zugrunde liegenden Probleme zu lösen, lassen die Vorstellungswelt der Beteiligten eng werden.
Horizont erweitern
Wie kann also der Horizont erweitert werden, um genug Raum zu schaffen, einen neuen Kurs zu setzen, der das Konfliktriff schiffbar werden lässt und den Zielhafen erreichen hilft? Warum nicht eine Umdeutung anbieten – womöglich mit einer kreativen Umdeutung spielen: Dinge oder Geschehnisse anders, vielleicht einfach nur in einem anderen Licht, betrachten und bewerten.
Passt das griffige Sprichwort „Scherben bringen Glück“? Es geht schon schön in die Richtung. Allerdings: In dieser Formel steckt viel Aberglaube drin – wohlgemeint zwar, aber eben spekulativ. Scherben sind nun einmal regelmäßig von Nachteil. Die tröstende Behauptung im Tausch für den Schaden einen noch größeren Schatz nämlich Glück erwarten zu dürfen, ist trickreiche Täuschung oder freundlicher formuliert: wohlmeinendes Wunschdenken. Immerhin: Wünsche haben Wirkungen und können wie Wunder wirken.
Umdeutung ist kein Trick und verspricht auch keine Wunder oder das Blaue vom Himmel, sondern gibt eine neue, konstruktive Sicht auf etwas konkret Bestehendes. Wenn es die Scherben einer bestimmten Vase mit schlechten Erinnerungen sind, mag es sein, dass sich die Möglichkeit einer entschiedenen Neubetrachtung dieser Vase nun anbietet und der Bruch etwas Positives bereit hält. Der Blick auf die konkrete und spezielle Situation, in der es sich als Glück herausstellt, dass das gute Stück in Scherben ging, ist dann die Kehrseite des Scherbenhaufens.
Eine andere Formel: Die Idee das gleiche Glas nicht nur als halb leer sondern auch als halb voll betrachten zu können, behält den tatsächlichen Sachverhalt Glas und Füllmenge im Blick, bleibt damit konkret, bietet zwei reale Betrachtungsmöglichkeiten als Anknüpfungspunkt für eine Bewertung der Situation.
Doch solche Betrachtungen als Beteiligter einer erhitzten Konfliktsituation anzustellen – na ja – dafür bleibt im Stressmoment eines Streits selten Zeit. Manchmal findet sich jemand mit fantasievollem, spielerisch kreativem Blick - so wie Momo.
Neue Horizonte
In einer Geschichte innerhalb der Geschichte gehen diejenigen, die Momo begleiten auf eine gespielte Forschungsreise. Ein Schiff wird entsandt, um einem bedrohlichen Wetterphänomen auf die Spur zu kommen. Es handelt sich dabei um einen endlos wütenden Wirbelsturm von ungeheurer Wucht, der stetig in Bewegung ein ganzes Meer für die Seefahrt unschiffbar macht. Nur weil Schiff und Crew dieser Expedition in ganz besonderer Weise ausgestattet sind, lässt sich ein Zusammentreffen mit dieser Erscheinung überhaupt wagen.
Schon die Fahrt wird zum Abenteuer. Als es aber schließlich zur Konfrontation im Auge des Sturmes kommt, versagen die Mittel wissenschaftlicher Analyse und auch die futuristischer Waffengewalt. Die Geschichte nimmt einen unerwarteten Verlauf. Kern des Wirbels ist kein meteorologisches oder physikalisches Wetterphänomen, sondern ein fantastisches Wesen, das wie ein Kreisel um sich selber rast und dabei die Elemente um sich herum katastrophal aufwühlt. Im Auge des Sturms lässt sich die Ursache des Phänomens neu betrachten und die Situation, das Problem neu bewerten.
Die Wendung in der Geschichte liefert eine Umdeutung. Ursache des Wirbelsturms ist ein belebtes Wesen und damit zugänglich für andere Wege der Einflussnahme. Der Blick der Beteiligten wird weiter um zu ersinnen, was erforderlich ist um dem Problem beizukommen. Momo kann dann diesem Wesen eine ganz andere Behandlung zukommen lassen als Wissenschaft und Waffen dies bieten können: Ein Wiegenlied, angestimmt von Momo und schließlich im Chor aller gesungen, lässt das Wesen Ruhe finden und in der Folge die Wogen glätten.
In einem Mediationsverfahren kann eine Umdeutung Verständnis für die Situation im Allgemeinen und für die in einer Konfliktsituation Verstrickten im Besonderen erleichtern. Auf dem Weg zu gemeinsamen Lösungen für das dem Konflikt zugrunde liegende Problem erweitert eine Umdeutung den Horizont und schafft gedankliche Spielräume.
Mediation im Gespräch
Neben Umdeutung können im Mediationsverfahren noch andere Register gezogen werden: zum Beispiel vielversprechendes Fragen – mehr davon in der nächsten STUZ oder im Gespräch ...
Beitrag von Marc Bracht, erschienen in STUZ Nr. 229, Juli 2019